Kapitel: 2 → Auswirkungen des Klimawandels auf aquatische und terrestrische Ökosysteme
2.10 → Beobachtete und prognostizierte Veränderungen in der alpinen Lebewelt
Georg Grabherr, Michael Gottfried & Harald Pauli
Institut für interdisziplinäre Gebirgsforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften.
Andrea Lamprecht & Sophie Nießner
Zentrum für globalen Wandel und Nachhaltigkeit, Universität für Bodenkultur Wien.
(Beide Institutionen koordinieren das Langzeitmonitoring-Programm GLORIA)
Zusammenfassung: Beobachtete und prognostizierte Veränderungen in der alpinen Lebewelt
Alpine Ökosysteme sind kältebetonte Lebensräume in den Hochgebirgsregionen der Erde. Sie erstrecken sich von der Waldgrenze bis zu den obersten Grenzen des Lebens und beherbergen eine reiche und einzigartige Flora und Fauna. Der globale Klimawandel, besonders die Erderwärmung, ist eine Gefahr für diesen sehr speziellen Teil der natürlichen Biosphäre.
Modellstudien prognostizieren eine starke Einengung von alpinen Habitaten in europäischen Gebirgen, was noch in diesem Jahrhundert zu einem Rückgang von Arten, im Extremfall zu deren Aussterben, führen kann. Im Zuge von Wiederholungsuntersuchungen in den Alpen konnte ein Höhersteigen der Verbreitungsgrenzen der Arten in den höchsten Vegetationszonen festgestellt werden.
Ähnliche Beobachtungen wurden im Ural und in Westkanada gemacht, wo die Baumgrenze im Laufe des 20. Jahrhunderts deutlich in die alpine Region vorgedrungen ist. Detaillierte Studien weisen darauf hin, dass Aussterbephänomene wesentlich komplexere Vorgänge darstellen, als das einfache Aufwärtswandern von Arten.
Die Frage, wie die alpine Lebewelt tatsächlich auf den fortschreitenden Klimawandel reagiert, führte schließlich zum Langzeitmonitoring-Programm GLORIA (Global Observation Research Initiative in Alpine Environments; www.gloria.ac.at). Neueste GLORIA-Studien in europäischen Hochgebirgen zeigen, dass wärmeliebende Pflanzen in die alpine Region expandieren, während Kältespezialisten der Hochlagen kontrahieren.
Dieser Prozess wird als “Thermophilisierung” der Hochgebirgsvegetation bezeichnet. Zudem konnte auf Gipfeln temperater und borealer Gebirge eine Zunahme von Gefäßpflanzenarten nachgewiesen werden, während die Artenzahlen auf mediterranen Gipfeln abnahmen.
Letzteres wird als Folge von Erwärmung, kombiniert mit zunehmender Trockenheit, gedeutet. Diese beobachtete Transformation macht einen fortschreitenden Habitatsverlust in kältebetonten Gebirgslebensräumen und damit eine reale Bedrohung der alpinen Lebewelt sichtbar.
Summary: Observed and expected consequences for the alpine life zone
Alpine regions, although rather cold environments throughout the world’s high mountain systems, host a rich and unique flora and wildlife. Global climate change, warming in particular, will endanger this natural treasure. Model studies predict extensive losses of alpine habitats in European mountains which may lead to species declines or even to extinctions within the 21st century.
Previous revisitations in the Alps gave evidence that vegetation at the upper limits of life is already invaded by lower-elevation species. Similarly, natural forest was advancing into alpine areas within the 20th century, such as observed in the Urals and in western Canada. Detailed studies indicate that the extinction syndrom might be much more complex than simple upward movements.
The question how alpine biota will actually react to continued climate warming has led to the long-term monitoring programme GLORIA (Global Observation Research Initiative in Alpine Environments; www.gloria.ac.at). Recent pan-European GLORIA analyses in high mountain regions showed an increase of warm-demanding plants and a decline of cold-adapted plants, indicating a thermophilization of mountain vegetation.
Moreover, temperate and boreal summits showed a rising number of species, whereas species richness was declining on Mediterranean summits, most likely due to combined effects of warming and higher aridity. These observed transformations display a progressing habitat loss in cold mountain environments, thereby threatening their unique flora and fauna.