Kapitel: 3.3 → Die Karakorum-Anomalie

Christoph Mayer, Astrid Lambrecht & Alexander Groos

Kurzfassung:

Inzwischen gibt es eine Fülle von Hinweisen, die darauf hindeuten, dass im Gegensatz zu den anderen Gletscherregionen weltweit die Massenbilanzen im Karakorum in Teilen ausgeglichen bis leicht positiv sind. Die Beobachtungen zeigen aber auch eine größere regionale Ausdehnung dieser Anomalie, welche sich über den westlichen Kunlun Schan und das östliche Pamir erstreckt, während im Karakorum vor allem der zentrale Bereich westlich des Baltorogletschers bis in das Hunzatal und im Norden bis in das Shimshal- und Shaksgamtal positivere Massenbilanzen zeigt. Zurückgeführt wird dieses unterschiedliche Verhalten der Gletscher seit mindestens 1970 auf niedrigere Sommertemperaturen und einen Anstieg des Niederschlags, wobei diese Entwicklung bis in die Gegenwart reicht. Zudem gibt es Hinweise, dass diese klimatischen Parameter auch durch die Änderung der Landnutzung, welche maßgeblich die Verdunstung beeinflusst, verändert werden könnten. Auffallend ist auch eine starke Konzentration von schnellen Gletschervorstößen (Surges) vor allem im Karakorum, wobei bisher noch kein schlüssiger Zusammenhang zur klimatischen Entwicklung gefunden werden konnte. Für die Zukunft wird vermutet, dass die Folgen der Klimaentwicklung auch vor diesen Regionen zwischen Pamir und Kunlun Schan nicht haltmachen und die Gletscher mittelfristig negative Massenbilanzen aufweisen werden, wenngleich vielleicht weniger negativ als in den angrenzenden Gebieten.

The Karakoram anomaly:

There is wealth of evidence that indicates that, in contrast to other glacier regions worldwide, the glacier mass balances in the Karakoram are partially balanced or even slightly positive. The available observations also show a larger regional extent of this anomaly, which also covers the western Kunlun Shan and the eastern Pamir. The Karakoram, in particular the central area west of Baltoro Glacier as far as the Hunza Valley and in the north as far as the Shimshal and Shaksgam Valleys, shows more positive mass balances. This different glacier behaviour, dating back at least to 1970, has been attributed to a regional decrease of summer temperatures and an increase in precipitation that persists until today. Changes in land use, which have a significant influence on evaporation, probably play an additional role in the evolution of these climatic parameters. What is also remarkable, is the strong concentration of glacier surges, especially in the Karakoram. However, no conclusive connection to climatic development has been found yet. In the future, it is assumed that the consequences of climate change will not stop at these regions between Pamir and Kunlun Shan and that the glaciers also will show negative mass balances in the medium term, although perhaps less negative than in the neighbouring areas.